Max Dauthendey und Japan
Max Dauthendey und Japan und ein Vergleich: Heimatstadt Würzburg und Japan Max Dauthendey in einem Brief an seine Schwester Elisabeth Nikko (Japan), Kanaya Hotel, 12. Mai 1906 Liebe Liesel, als ich gestern im Hotel ankam, kriegte ich Deinen Brief, das machte mich sehr froh. Japan möchte mich am liebsten ganz behalten. Es befriedigt mich äußerlich aufs intensivste, und wenn Annie da wäre, wäre dies für uns beide, für sie und mich, ein Idealland zum Leben. Die Bescheidenheit und zarte Gediegenheit alle täglichen Dinge ist göttlich. Die Menschen leben wie die Götter in einer delikaten Leere, in der sie ihre Gedanken in Bronze, Seide oder Lack auftauchen lassen und Phantasie essen. Von den leeren Bambushäusern und ihren leeren Holzwänden hebt sich der Mensch in Seide schön ab, und jeder Blumenzweig in der Vase stellt sich wie ein Leckerbissen hin. Ich habe das fleißige Tokio gesehen, eine Millionenstadt aus lauter Jahrmarktbuden und einstöckigen zierlichen Hütten. Ich fühl mich wie ein Riesenbauer in dem Zwergland, wo Wäölder in Blumentöpfen auf jedem Ladentisch winzig fein gezüchtet werden, wo die Menschen wie die Bienen so anspruchslos leben, emsig und mathematisch genau mit den Lebensreizen umgehen und immer das Große im Kleinsten darstellen. Man kommt sich plump und hilflos vor, und wie ein Bär sitzt mein Herz unbeholfen in mir unter dioesen Zwergen, die uns tausend Jahre an Lebensweisheit und Lebensfülle voraus sind. Abends war ich in vielen Theatern, zu Kirschblütenfesten und in Teehäusern und sehe Japan jetzt so angenehm innerlich wie nicht am Anfang, wo ich mir Sorge statt Schönheit in allen Straßen sah. Nikko ist ein Gebirgstempeldorf, hoch über Wasserfällen, zwischen Bergwolken und Bergabhängen gebaut. Es tregnet natürlich wieder, es regnet schon seit Wochen, und nur in Tokio war blaues Wetter. Wir kamen gestern an und können vor Nebel vorläufig wenig sehen. Mittwoch fahren wir nach Yokohama, wo wir bis zum 14. Mai den Dampfer nach San Franzisko abwarten.
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