Max Dauthendey in Japan

82 Hier in dem Teehausschatten kann sie sich nach Haus zu ihren Eltern träumen. Sieht sie hier, mit dem Kopf auf den Fußboden gestützt, hinaus, Gleicht jede winzige Hügelwelle im Garten den großen Bergsäumen vor ihrem Elternhaus. Und jede Rasensenkung täuscht ihr vor vom Talschwung der Heimat eine Ahnung. Zwergahorn und Zwergeiche tun das gleiche. Sie sieht hier, auf dem Raum von einigen hundert Schritten kaum, die Landschaft von hundert Meilen In Zwergbaumlinien, in Hügeln und Wasserzeilen; sie sieht die Heimat ihrer Lieben rund, kaum einige Hände hoch über den Gartengrund hingeschrie- ben.” Ich stund wie einer, der blind gewesen, der mit einem Mal sehen lernt, verglei- chen und lesen. Was ich für Wurzelstaude und kriechenden Busch gehalten auf den Rasenfalten, Waren fünfhundertjährige Eichen, Fichten, Zedern, vielfach verästet, verkrüp- pelt und vom Alter gespalten. Der Garten, der vorher verschwunden war, lag als fußhohes Landschaftsbild vor dem Altan des Teehäusleins im Nachmittag jetzt klar. Ich verstand jetzt, daß der kniehohe Garten eine ganze Provinz von Landschaf- ten war, in deren Mitten Selbst die kleinen Japaner wie große Riesen über die hundertjährigen Eichenwäl- der und über die lebenden Flüsse schritten. Die Liebe, der Riese im Mann, zog dem geliebten Weib die alte Heimat über Meilen an die Türe heran, Daß die Geliebte, wenn sie wünscht, darin weilen kann und träumen, wie sie als Kind es getan. – Es sind um Kioto noch seltsame Sommergärten der Kaiser entstanden, in denen sich in einem, der “männliche” und der “weibliche” benannt, Zwei Wasserfälle befanden und Brücken in Brillenform, die mit kreisrunden Rücken den Wasserspiegel schmücken. Da sind Gartenzimmer mit vielfacher Benennung: Die Harfe in der Kiefer, Zim- mer für den aufgehenden und Zimmer für den untergehenden Mondschim- mer, Zimmer der Blumenbewunderung. Ein jeder Garten dieser Art ist genannt eine Zeremonie, denn er offenbart allen Dingen eine Deutung.

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