Max Dauthendey - wiss. Aufsatz Dr. Mayer
10 werden kann. 43 Damit wird ein wesentliches Element asiatischer Vorstellungen in die narrative Konzeption des Textes einbezogen. Es bleibt zu attestieren, dass der asiatische Einfluss nicht nur den Inhalt, sondern auch die Erzählhaltung bestimmt. Der Naturbezug soll durch die fünfte Geschichte Der Wildgänse Flug Katata nachschauen ergänzt werden. In dem Text geht es um den Maler Oizo, der für die Königsfamilie einen Saal in der Sommerresidenz malen soll. Die Prinzessin wünscht sich, dass der Saal den Wildgänse-Flug am Biwasee darstellt, der, wenn er im Herbst stattfindet, ein japanisches Zeichen ergibt. Die Aufgabe für den Künstler besteht darin, eine Naturbeobachtung abzubilden. Der Produktionsprozess muss demnach mimetisch erfolgen. Oizo reist deshalb zum Biwasee. Dort trifft er auf die Tochter des Töpfers, die ihm das Geheimnis des Zeichens verrät, das zwischen Wildgänseflug und Landschaft entsteht. Der Name des Mädchens „Graswürzelein“ ist für den Naturbezug bezeichnend. Das japanische Zeichen enthält die Aussage „ich liebe dich wenn ich dir nachsehe. Aber du liebst mich nicht, weil du fortsiehst“ 44 . Oizo erfährt, dass dieses Zeichen bei jungen Mädchen gebräuchlich ist, um einem Mann ihre Liebe zu gestehen. Somit erweist es sich nicht als Zeichen der Natur, sondern als Produkt der gesellschaftlichen Konvention. 45 Graswürzelein expliziert das Zeichen allerdings noch weiter: Denn sieh: das Schriftzeichen besteht aus drei Teilen. Sieh hier die Gabel eines vielfach gewundenen Baumes. Waagerecht durch die Gabel hindurch siehst du die Brustlinie eines ansteigenden Hügels und darüber die vielfach zackige Fluglinie einer unendlich langen Reihe von grauen und weißen Wildgänsen […] die grauen Wildgänse verschwinden in der Dämmerung, wogegen die weißen sich als Schriftzeichen vom Abendhimmel abheben . 46 Das Schriftzeichen wird durch eine Naturbeschreibung wiedergegeben. Somit stellen Schrift und Natur eine Einheit dar. Das Zeichen ist nicht aus der Natur zu entnehmen, sondern nur in ihr zu beschreiben. Anders gesagt, die Natur erweist sich nicht als Medium, das dieses Zeichen ausdrückt, sondern sie ist dieses Zeichen selbst. Diese These korrespondiert wieder mit dem Eigenwert der Natur, der auch in dieser 43 Seyfarth: Erzählerische Kunstwerk, S. 146. Seyfarth interpretiert die Rolle der Frau als heilendes Prinzip in Dauthendey Texten. . 44 Dauthendey: Acht Gesichter, S. 79. 45 Stamm: Die „Schrift der Natur“, S. 80. Stamm konstatiert, dass das Zeichen von der Kultur in die Natur eingetragen wird. Damit ist zudem der zentrale Aspekt von Stamms Interpretation angeschnitten. Für Stamm geht es in den Acht Gesichtern hauptsächlich um den Konflikt zwischen gesellschaftlichen Konventionen und dem subjektiven Begehren beziehungsweise der Liebe. Nach Stamm wird dieser Zwiespalt in allen Novellen verhandelt. 46 Ebd.
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