Max Dauthendey - wiss. Aufsatz Dr. Mayer
2 Auf der Ebene des Erzählers wäre noch eine andere Frage zu stellen: Der Erzähler gibt sich große Mühe, die Landschaft am Biwasee mit aller Farbenpracht und einer detaillierten Beschreibungsmethodik darzustellen. Die Figuren sind japanische Charaktere, die in etwaigen Spannungsverhältnissen zu den Europäern oder Amerikanern in ihrem Land stehen. Es gibt keine europäischen Reisenden, die die japanische Landschaft wahrnehmen. Somit ist die Wahrnehmung des Erzählers in den Fokus der Analyse zu rücken, um herauszustellen, aus welcher Perspektive dieser „Japan“ konstruiert. Wie erwähnt, gibt er sich große Mühe bei der Schilderung der japanischen Natur, und es hat den Anschein, als wäre keine europäische Perspektive vorhanden. Diese Analyse möchte nun ausloten, ob der Erzähler seine textimmanente europäische Prägung zu verbergen vermag oder ob und in welchen Textpassagen er sich als Europäer verrät. Die Vermutung geht dahin, dass europäische Perspektive und Naturdarstellung zusammenhängen. In dem methodischen Verfahren eines „close readings“ 4 werden dafür die Naturbeschreibungen in einigen exemplarischen Geschichten betrachtet werden. Die Absicht, einen europafernen Ort aufzugreifen, um die damit verbundenen narrativen Möglichkeiten zu aktiveren, deutet sich an. Um ein harmonisches Zusammenleben von Natur und Mensch zu zeigen, braucht es eine europaferne Region In Europa, beziehungsweise in Deutschland, ist eine literarische Darstellung der Natur Anfang des 20. Jahrhunderts kaum von Interesse gewesen. 5 . In Dauthendeys Geschichten geht es nicht nur um die Thematisierung der Natur, sondern die Texte beziehen ebenfalls – aus europäischer Perspektive – asiatisch- japanische Kulturelementen in die Erzählkonzeption mit ein . 6 Die zentrale These der Interpretation ist, dass der Erzähler die Natur überdeterminiert. Das erweist sich als narrative Strategie, da er dadurch versucht, seine eigene europäische Perspektive zurückzunehmen und zu verbergen. Der Erzähler macht das Fremde der japanischen Natur, die er erst aufwendig konstruiert, für sich fruchtbar . 7 4 Vgl. Frank Lentricchia/Andrew DuBois (Hg.): Close reading. The Reader. Durham-London 2003, S. 2- 4. In seiner Einleitung beschreibt DuBois „Close reading“ als Analyseverfahren. Der Text und seine Funktionsweisen stehen dabei im Mittelpunkt. Der ganze Band versammelt eine Anzahl von Texten, die „close reading“ als Teil des „New Critism“ entwickeln. 5 Zwischen Naturalismus und Expressionismus, sowie der einige Jahre später entstehenden Anti-Kriegs- Literatur wie Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues ist für Naturbeschreibungen kein Platz. Die Natur steht nicht – wie in der deutschen Romantik – im Mittelpunkt des literarischen Interesses. 6 Vgl. Han: Konstruktion der Differenz, S. 32 u. S. 38. 7 Vgl. ebd., S. 34. Han vergleicht die Geschichten hauptsächlich mit der japanischen Lyrikform des „Haiku“. Dabei ist das Spezifische, dass mit „wenigen Worten, viel gesagt wird“. Von der
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