Max Dauthendey - DrMayer - Raubmenschen - Rennewart

189 Yorks undWahrnehmung der europäischen „Großstadt“ deutlich, denn auch hier wird eine Überforderung aufgezeigt: Er schüttelte sich, schluckte. Er trat sich auf den Fuß. Dann nahm er einen Anlauf und saß in der Elektrischen. Mitten unter den Leuten. Los. Das war zuerst, als wenn man beim Zahnarzt sitzt, der eine Wurzel mit der Zange gepackt hat und zieht, der Schmerz wächst, der Kopf will platzen. Er drehte den Kopf zurück nach der roten Mauer, aber die Elektrische sauste mit ihm auf den Scheinen weg, dann stand nur noch sein Kopf in der Richtung des Gefängnisses. Der Wagen machte eine Biegung, Bäume, Häuser traten dazwi- schen. Lebhafte Straßen tauchten auf, die Seestraße, Leute stiegen ein und aus. In ihm schrie es entsetzt: Achtung, Achtung, es geht los. Seine Nasenspitze vereiste, Über seiner Backe schwirrte es. ‚Zwölf Uhr Mittagszeitung‘, ‚B.Z.‘, ‚Die neuste Illustrirte‘, ‚Die Funkstunde neu‘, ‚Noch jemand zugestiegen?‘ 527 Der aus dem Gefängnis entlassene Franz Biberkopf zeigt sich ebenfalls einer Überforderung unterworfen, er schaut zwar zurück, aber die Umge- bung stimmt schon nicht mehr mit dem Vergangenen überein. Im exotisti- schen Kontext lässt sich auch vom „Großstadtdschungel“ sprechen, der das Unüberschaubare der Großstadt in Bezug zur Fremdheit und zum Dickicht des Dschungels setzt. 528 Damit zeigt sich zudem eine weitere Verbindung zwischen Exotismus und Expressionismus. 529 Die Überforderung der euro- päischen Wahrnehmung entsteht weniger durch ein Fremdheitsverhältnis verschiedener Kulturen, sondern durch ein innereuropäisches Phänomen, das sich durch eine exkontinentale Verlagerung radikalisiert. Die Wirkung auf Rennewart ist stärker, weil er sich außerhalb Europas befindet. Renne- warts Wahrnehmung konstruiert sich die Fremdheit des Wahrgenommenen. Die räumliche Ferne zwischen Amerika und Europa deckt sich nicht mit einer kulturellen Differenz. Beides sind logozentrische Kulturen und Renne- wart bemängelt mit der Erwähnung „Zahlenspuk“ diesen Logozentrismus. In den bisherigen Analysen der anderen Texte hatte sich das Logozentrische 527 Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte von Franz Biberkopf. Hg. v. Walter Muschg. München 2001, S. 15. 528 Vgl. Reif: Zivilisationsflucht, S. 162ff. Vgl. auch: Zenk Forschungsreisen, S. 97. Exotischer Dschungel und Großstadt weisen eine strukturelle Analogie auf. 529 Vgl. Anz: Literatur des Expressionismus, S. 106. Anz konstatiert zudem, dass es gerade auch die Massenmedien sind, die eine Veränderung der Wahrnehmung bewirken. Die Aporien der europäischen Wahrnehmung

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