Max Dauthendey - DrMayer - Raubmenschen - Rennewart
190 meist als Kriterium der europäischen Wahrnehmung gezeigt, und auch in Paasches Forschungsreisen des Lukanga Mukara bezeichnet der imaginierte Afrikaner die Deutschen als „Zahlenkarle“. In den Raubmenschen kehrt sich das um, indem der Europäer der wahrgenommenen amerikanischen Gesell- schaft einen – im Gegensatz zu Europa – radikaleren Logozentrismus unter- stellt. Auch der bereits erwähnte Keyserling argumentiert ähnlich in Bezug auf Amerika: „Wenn ich mir’s nun recht überlege, so finde ich, daß ich nicht dem Amerikanischen als solchem Antipathie entgegenbringe, sondern dem Abendländertum überhaupt; und jenem nur insofern, als es dessen extrems- ter Ausdruck ist.“ 530 So bestimmt auch Keyserling wie die Figur Rennewart Amerika als radikalisiertes Europa und drückt zugleich seine Abneigung aus. Es existiert somit keine kulturelle Differenz, was auch im nächsten Abschnitt über Mexiko noch stärker herausgearbeitet wird. Rennewart bemerkt diesen Sachverhalt aus einem bestimmten Grund nicht. Die textuell europäische Wahrnehmung gewährleistet die Illusion einer kulturellen Differenz. Zuvor hat sich Rennewart als Europäer identifiziert, wo die europäische Wahr- nehmung ihren Ausgangspunkt nahm. Die Wahrnehmung wurde initiiert durch ihren Ort Europa und ihre Prägung, die es ermöglicht, außereuropä- ische Momente als solche zu identifizieren. Wenn diese Wahrnehmung in Amerika aktiv ist, so verstellt der eigene Ausgangspunkt den Blick auf die eigene kulturelle Situation. Rennewart empfindet Amerika als fremd, weil er die Charakteristika Europas (der eigenen Kultur) verdrängt. Dabei bilden die Gebäude das Element der Identifikation. Amerika wird als das Fremde wahrgenommen, entspricht jedoch nur der eigenen Kultur. Die europäische Wahrnehmung blendet die ihr verwandten Kulturmerkmale aus, die sich in Amerika bereits radikalisiert wirken. Dieser Abschnitt hat herausgestellt, wie RennewartsWahrnehmung funk- tioniert. Im nächsten Teil muss das speziell am Beispiel Mexiko untersucht werden, denn New York bildet nur eine Zwischenstation. 5.1.2 Radikalisierung der eigenen Kultur In seiner Studie attestiert Zenk dem Roman Raubmenschen, dass „in den Raubmenschen besonders die fundamentale Alterität des bereisten Landes in den Mittelpunkt [rückt]“ 531 . Dem ist insoweit zuzustimmen, als dass sich 530 Keyserling: Reisetagebuch, S. 722. 531 Vgl. Zenk: Forschungsreisen, S. 354. Die Aporien der europäischen Wahrnehmung
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