Max Dauthendey - DrMayer - Raubmenschen - Rennewart

195 Mexiko erweist sich nicht als Ort für Musik, was im Text deutlich Europa zu Lasten gelegt wird. Dementsprechend sagt Hannah in einem späteren Gespräch mit Rennewart: „Denn die Indianer seien ein sehr musikliebendes Volk gewesen.“ 553 Die Musik, alle sonstige Kunst und ursprüngliche Kultur wurden durch den Kolonialismus gelöscht. Damit verhält sich der Roman analog zu Gauguins Noa Noa , indem auch hier die kulturelle Blütezeit der Fremdkultur in die Vergangenheit vor den Beginn der Kolonialisierung gelegt wird. Jedoch erwies sich diese imaginierte Vergangenheit in Noa Noa bereits als europäische Konstruktion. Konträr dazu verhält sich die Posi- tion von Hannahs Mann, der von Anfang an mehr europäische Kunst nach Mexiko mitnehmen wollte. […] er [der Astronom] hatte außerdem die seltsamen Einfälle, er wollte das Beste, was Europa und Asien an Büchern, an Götzen, an Kunst und Musik hervorgebracht hatten, wenigstens in Erinnerungen mit hinüber in das Land der Sonne mitnehmen, um dort nicht ohne Tradition zu sein. Das alles in Reproduktionen oder in Büchern mitzubringen und mitzuschlep- pen, war natürlich unmöglich gewesen. Darum hatte er sich so eine Art Kul- turextrakt zusammengestellt und nahm das mit, was von der alten Kultur ihn persönlich am stärksten angeregt hatte. 554 Die Passage ist retrospektiv, da sich Hannah und Rennewart bereits auf der Heimfahrt nach Europa befinden. Der Astronom wollte einen Kultur- extrakt mitnehmen, um den eigenen Traditionszusammenhang und Kul- turraum nicht zu verlieren. Dabei hatte er deren Nutzlosigkeit in Mexiko bereits dem Ereignis mit der Violine seiner Frau entnehmen können. Die „Schneckenhaus“-Metapher drängt sich erneut auf, jedoch zeigt das Schei- tern des Ehepaares in Mexiko auch den Mangel in dieser Konzeption. Indem die Apollohymne schon relativiert wurde und der Mann in Mexiko seinen Tod findet, zerbricht das „Schneckenhaus“. Der Schutz, den der eigene Kul- tur- und Traditionszusammenhang in der Fremde bieten sollte, erscheint obsolet. Der Text weist es als unmöglich aus, die europäischeKunst inMexiko ansiedeln zu können. Hannahs Mann ist aber von Anfang an davon ausge- gangen, dass es weder europäische Kunst oder sonstige „gute“ europäische Sturz vom Finger geglitten. Ich suchte eine Weile […] aber mein Ring findet sich nicht mehr.“ 553 RM, S. 125. 554 Ebd., S. 352. Die Aporien der europäischen Wahrnehmung

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