Max Dauthendey - DrMayer - Raubmenschen - Rennewart
196 Kultur in Mexiko gibt und diese für das eigene Leben ergänzt werden muss. ImBegriff „Raubwelt“ findet sich die Existenz solcher Bereiche ebenfalls ver- neint. Europas, besonders Spaniens, koloniale Interesse an Mexiko umfasst keine kulturellen Dinge, sondern es geht allein um materielle Werte, wie Bodenschätze, Orte für Glücksspiel, die in Europa auch sanktioniert sind, oder das Ausleben von sexuellen Phantasien. Selbst Rennewarts Wahrneh- mung funktioniert nach dem Schema, dass er Hannah 555 und die Spanierin Orla als permanente Versuchung ansieht. Orla lernt Rennewart am Anfang imZug kennen, und ihre Beziehung zieht sich durch den Text, bis sie schließ- lich verhaftet wird. 556 Daneben findet sich allerdings auch noch die Begeg- nung und Beschreibung einer Indianerin, deren Charakterisierung in Renne- warts Wahrnehmung auf spezielle Weise geschieht: „Angela“, so streichelte sie mich nochmals mit der Stimme und hob jetzt ihren Fruchttellerkorb vom Kopf, um ihn vor sich aufs Knie zu legen […]. Ich war sehr einsam und es kammir der Gedanke, mir einen fröhlichen Tag zu machen und mit Angela, wenn sie wollte, Freundschaft zu schließen, vielleicht bis die Sonne unterginge, vielleicht noch länger. […] „Angela, willst du mit mir spazieren fahren?“ fragte ich die schöne vierzehn- jährige, vollständig ausgewachsene und jungfräulich reife Indianerin. 557 Der Text ruft dabei nicht nur den profanen Topos der exotischen Frau auf, sondern berührt zugleich das europäische Tabu des Geschlechtsverkehrs mit Minderjährigen, das Paradigma der „Lolita“. 558 Wie schon in Gauguins Noa Noa verkörpert die exotische Frau auch hier wieder etwas in Europa Verbo- tenes. 559 Die Textstelle operiert mit deutlichen Konnotationen im Hinblick 555 Vgl. Zenk: Forschungsreisen, S. 351f. Rennewart zeigt sich auch im Hinblick auf Hannah als „Raubmensch“, da er diese ihrem Ehemann „rauben“ möchte. 556 Vgl. RM, S. 101 u. S. 277. 557 Ebd., S. 116. 558 Vladimir Nabokov: Lolita. Duxford 2000. Nabokovs Roman entfaltet das Schema des minderjährigen, aber sexuell verführerischen Mädchens, das sich allerdings auch schon in Goethes Mignon Figur aus WilhemMeisters Lehrjahre etabliert. 559 Vgl. Küchler-Williams: Erotische Paradiese, S. 109ff. Küchler-Williams stellt dieses Muster für die Südsee heraus, das in der Aufklärung seine Etablierung fin- det. Die Südsee bildet einen Freiraum für die ungehemmten sexuellenWünsche Die Aporien der europäischen Wahrnehmung
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