Max Dauthendey - DrMayer - Raubmenschen - Rennewart

197 auf die Sexualität, wie die „Früchte“ oder das „Freundschaft schließen“. Ren- newart als Reflexionsinstanz der „Raubmenschen“ in Mexiko zeigt sich in der Wahrnehmung der „Indianerin“– wie schon zuvor – selbst als „Raub- mensch“, der das nutzen will, was in der Kolonie möglich ist. Somit werden nur materielle Interessen und sexuelles Begehren in Mexiko ausgelebt, und die Versuchung für jeden Europäer ist groß, sich darauf einzulassen. Mexiko erscheint somit als literarischer Verhandlungsplatz sozialdarwinistischer Theoreme. Der Text folgt damit zunächst einem konventionellen eurozen- tristischen Wahrnehmungsmuster. Es gibt noch einen anderen Aspekt, der die Radikalisierung veranschau- licht. Dabei geht es um das Tragen von Waffen: Die letzten Abkömmlinge der Azteken gingen auf dem Bahnsteig umher […]. Diese groteske Welt der Indianer, die mit ihren spitzen hohen Hütten einer Herde altmodischer Zauberer glichen, wirkte befremdend, aber nicht so her- ausfordernd waghalsig wie im Europawaggon die Schar der Reisenden Mexi- kaner, denen aus allen Taschen und aus der Gürteln die plumpen Kolben riesi- ger, in unserer modernen Zeit lächerlich aussehender Pistolen starrten. 560 Waffen tragen in Mexiko nur die Europäer und Amerikaner, die von Renne- wart als Mexikaner begriffen werden, und nicht die ursprünglichen Einwoh- ner, die er „Azteken“ nennt. Diese bezeichnet Rennewart durchgehend als „Indianer“ und setzt sie damit in Beziehung zur idealisierten Vergangenheit Mexikos. Erscheint New York der europäischen Wahrnehmung als modern und schnell, so erweckt Mexiko den gegensätzlichen Eindruck. Die Mexika- ner, also die Europäer und Amerikaner, tragen Pistolen, die lächerlich und wie aus einer anderen Zeit wirken. Damit spielt der Text erneut auf den Akt der KolonialisierungMexikos an, denn in diesemProzess waren die Europäer auf ihre Waffen sowie auf die Demonstration und die Sichtbarkeit derselben angewiesen, um ihre Macht zu repräsentieren. Um die Jahrhundertwende ist Mexiko allerdings noch Kolonie, weshalb die Europäer das Tragen der Waf- fen nötig zu haben scheinen. Ein Bezug zu Brandlberger in Müllers Tropen des aufgeklärten Mannes im 18. Jahrhundert. Der Reisebericht aus der Südsee bekommt damit die Funktion der Triebentlastung. War die europäische Frau zur frigiden Person am Herd gemacht worden und in der Sexualität als passiver Partner dargestellt, so wirkt die Erotik der Südseeinsulanerinnen als Kompen- sation. 560 RM, S. 97. Die Aporien der europäischen Wahrnehmung

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