Max Dauthendey - DrMayer - Raubmenschen - Rennewart

199 Mit dieser figuralen Aussage tritt der Text in Opposition zu Segalens Theo- rie, die das Gefühl zum Zugangsinstrument zum Fremden erhoben hat und grundlegend davon ausgeht, dass die Vermittlung zwischen Eigenem und Fremdem möglich ist. 564 Rennewart verneint den Zugang zum Fremden, zu anderen Kulturen gänzlich. Es muss erneut ein Vorgriff auf Graf Herman Keyserling erfolgen, denn das grundlegende Konzept der Reise verhält sich in Keyserlings Text Reisetagebuch eines Philosophen analog. Bei Keyserling heißt es: „Der kürzeste Weg zu sich selbst führt um die Welt herum.“ 565 Die Welt, das heißt fremde Kulturen dienen dem Ich nur als Entwicklungsstufen, jedoch wird ihnen kein Eigenwert beigemessen. Keyserling nimmt zwar ver- schiedene Weltanschauungen im Sinne seines „proteusischen“ Programms auf, aber dieser Ablauf dient nicht dazu, einen Zugang zum fremden Land zu erhalten, sondern es wird nur das an Wissen abgespult, was der Reisende bereits mitbringt. 566 Allerdings erweist sich diese Verhandlung in den Raub- menschen als Scheinproblem, da Mexiko in demRoman keine fremde Kultur darstellt, sondern nur das transformierte und verdrängte Eigene. Es bleibt zu attestieren, dass der Zugang zum eigenen Unbewussten der europäischen Gesellschaft und Kultur – was in dem Zitat als „fremdes Land“ bezeichnet wird – nicht mit den herkömmlichen Verkehrsmitteln zu bewältigen ist. In Rennewarts Wahrnehmung dienen die Bezeichnung Mexiko und die Beschreibung des Landes also der Distanzierung. Zugleich erweist es sich als Ausschlussverfahren und als Vergewisserung, dass das, was wahrgenommen wird, wirklich nichts mit der eigenen europäischen Identität zu tun hat. Wie er seine eigene europäische Identität auf der Überfahrt konstruiert hat, muss er auch Amerika und Mexiko als fremde Orte demgegenüber konstruieren. Eine andere Aussage Rennewarts über Mexiko liefert erneut Kategorien, die den Freud-Bezug unterstreichen: „Mexiko ist tragisch gestimmt, mit einem Einschlag ins Dämonische, ins Phantastische, und immer mit der Endnote der Grausamkeit.“ 567 Das „Phantastische“ und „Dämonische“ sind Begriff- lichkeiten, die in Freuds zeitgleicherTheorie zumUnbewussten eine zentrale 564 Vgl. Abschnitt 2.1.1, S. 59ff. dieser Arbeit und vgl. Zenk: Forschungsreisen, S. 311. Zenk ordnet Segalen nach der Chronologie in die Spätphase des Exotis- mus ein und lässt ihn von der Ausrichtung her mit Dauthendey korrespondie- ren. 565 Vgl. RTB, Zitat auf der Titelseite. 566 Vgl. Abschnitt 5.2.3, S. 236, dieser Arbeit. 567 RM, S. 107. Die Aporien der europäischen Wahrnehmung

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