Max Dauthendey - DrMayer - Raubmenschen - Rennewart

202 einemMühlenstein als Bauch und die Füße in der Luft; so der Gott des Feuers. Der Gott des Wassers ist eine kleine zwergartige Gestalt, deren Kopf wie zwi- schen Schraubstöcken eingepresst ist; der Gott des Todes hat riesige Kinnba- cken und heißt Mictlantenhtli. Vier riesige Schneidezähne starren aus seinem Maul; sein Bauch ist ein Kreis. Er hockt wie ein Frosch und hat keine Stirn; er ist aus einem großen runden Stein, gleich einemMühlstein, herausgehauen. 572 Die Textstelle tritt bezüglich der Beschreibungen jedoch in Analogie zu Ein- steins Theorie und zu Müllers Tropen -Roman, denn auch hier werden kubis- tische Formen wahrgenommen, wenn sich der Bauch des „Gott des Todes“ als „Kreis“ und die Bäuche generell rund wie „Mühlensteine“ dargestellt finden. Einen Unterschied markiert dieser Roman, der Einsteins Theorie und auch Müllers Roman vorausgeht, dennoch. Mit „Mühlenstein“ wendet Rennewart ein explizit europäisches Beschreibungsmuster an, da er die Bäu- che mit etwas ihm Bekannten vergleicht. Ein weiteres Moment besteht in der Betonung der Materialität des Kunstwerkes, das als „Mühlenstein“ etwas Praktischem gleicht und vor allem „Stein“ ist, was jegliche Vitalität negiert. Ein ebensolcher Riesenmühlstein, über und über mit eingeritzten Zeichnun- gen bedeckt, die indianische Krieger darstellen und Schlangen, Köcher, Pfeile und Federn, war einst der Altar für Menschenopfer gewesen und zeigte eine breite Rinne, in der jahrhundertelang das Menschenblut abgelaufen war. Diese tiefe Rinne, die sich das Blut durch die Zeichnungen gezogen hatte, entsetzte jeden Beschauer. Rings an denWänden des blutrot getünchten Saales, der sein Licht nur durch die hohe Tür erhielt, die in den Garten hinausging, standen und hockten die grinsenden und verrenkten Gottheiten einer vergangenen Welt wie steingewordene Gespenster; und noch schauerlicher als alle Miß- geburten der Natur muteten den Europäer hier die Höllengeburten des india- nischen Menschenherzens an, die da Stein geworden waren. 573 Wenn den Kunstwerken auch keine Lebendigkeit zukommt, so fasst Renne- wart sie doch als beängstigende, steinerne, also damit doch unvergängliche Zeichen auf. Diese Passage macht zudem deutlich, wie die Inszenierung der „primitiven“ Kunstwerke im Text reflektiert wird. So zeigt sich die Wand des Raumes, in dem der Altar für die Menschenopfer steht, rot gemalt, und der Raum verbleibt im Dämmerlicht, damit der Besucher sofort ein 572 RM, S. 126f. 573 Ebd., S. 127. Die Aporien der europäischen Wahrnehmung

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