Max Dauthendey - DrMayer - Raubmenschen - Rennewart

203 beängstigendes Gefühl bekommt. Der Text verhandelt mit dem Museum demnach auch die Inszenierung exotistischer Kunst für die europäische Wahrnehmung und die Steuerung derselben. Die indianischen Zeichnungen werden, dadurch dass durch sie Blut floss, sofort als „barbarische“ Kunst sti- lisiert, die nur im Hinblick auf diese unzivilisierten Rituale gedacht werden kann. Dieser Altar ist ebenfalls ein „Riesenmühlstein“ und rund, womit er nicht nur mit den „Bäuchen der Götter“ korrespondiert, sondern ebenso mit ihrer plastischen Darstellung. Die Narration rückt die primitive Plastik damit in den Kontext des Menschenopferkultes, der sich in der europäischen Entdecker- und Kolonialgeschichte häufig thematisiert und dämonisiert findet. Eine vorurteilslose Annäherung an die primitivistische Kunst findet in den Raubmenschen daher nicht statt, sondern die indigenen Kunstwerke werden als erschreckende Artefakte dargestellt und dämonisiert sowie zum Sinnbild des pejorativ konnotierten Mexikos als „Raubwelt“. Die Reaktion der Figur Hannah auf das Museum fasst diese Aspekte zusammen: […] da schritt die junge Frau auf die Hauptgötterfigur in der Mitte zu, deutete mit ihrem Schirm auf den Affenschädel, der, aus einem langen Knäul heraus- gemeißelt, grauenhaft, hohläugig und unheimlich wie ein Schildkrötenkopf unter dem Schlangenwust vorstarrte, und sagte: „Dies ist die Welt, in der ich jetzt mein Leben verbringen werde!“ 574 Rennewart funktionalisiert die indianischen Artefakte zum Denkschema über Mexiko um, wodurch er ihre pejorative Konnotation wiederum unter- streicht: „[…] war mein Gehirn durch die letzten Erlebnisse und durch die aufregenden Geständnisse selbst schon so abenteuerlich und verwildert geworden, daß es Argwohngedanken schuf, die den Mißgeburten im mexi- kanischem Museum glichen?“ 575 Rennewart bleibt allerdings nicht dabei stehen, die indianischen Kunstwerke als Abbilder seiner Gedanken zu betrachten, sondern führt auf dieser Argumentationslinie wieder einen Kul- turrelativismus ein, indem er die Artefakte als Sinnbilder für die europäische Mentalität begreift: Es gab auch unter den Gedanken lebende Mißgeburten, die man nicht ohne Schauder ansehen konnte, wenn man einfach und natürlich fühlte. War man 574 Ebd., S. 127. 575 Ebd., S. 180. Die Aporien der europäischen Wahrnehmung

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