Max Dauthendey - DrMayer - Raubmenschen - Rennewart

207 disqualifiziert. Wie ausgeführt, war die Integration in die mexikanische Kul- tur von Anfang an nicht das Ziel des Astronomenpärchens, das in Mexiko nur Einsamkeit finden wollte. Der Text bleibt jedoch nicht bei dieser desillu- sionierenden Einsicht stehen 578 , sondern lässt den Protagonisten Rennewart eine Alternative durchspielen. Rennewarts Eskapismus findet innerhalb sei- ner Kultur statt, indem er versucht, sich in die Vergewisserung des „deutschen Reiches“ und der „Hochkultur“ 579 zu flüchten und diese als Orientierungs- muster zu adaptieren. Dieses Muster hat der Text allerdings hinsichtlich der Frau, die auf ihrer Geige die Apollohymne als europäisches Kulturgut spie- len wollte, bereits schon einmal ausgehöhlt. Ob das Schema bei Rennewart anders funktioniert, soll jetzt analysiert werden. Nach den desillusionieren- den Erfahrungen in Mexiko mit allgemeiner Kriminalität und Korruption im Polizeiwesen flieht Rennewart in die deutsche Gesandtschaft (Botschaft), um ebenfalls Schutz vor den sozialdarwinistischen Szenarien zu finden. Ich nahmdann das Abendessen allein ein; dann setzte ichmich ans Klavier und spielte im Gesellschaftssalon aus einigen Notenheften, die ich da fand. Umge- ben von den lebensgroßen Porträts der deutschen Kaiserfamilie, Bismarcks und Wolkes, die rings von den Wänden sahen, fühlte ich mich für eine Weile ganz in Europa zu Hause, es war mir, als läge Mexiko weit irgendwo imWesten hinter dem gelben Sonnenuntergang. Da sah ich es im Geist wie ein Plateau aus Goldplatten liegen, so wie ich es mir als Knabe immer vorgestellt hatte, wenn man mir von den goldenen Aztekenkönigen und von Gortez und seinen Abenteuern erzählt hatte. Da hatte damals für mich dieses golddurchglänzte 578 Vgl. Zenk: Forschungsreisen, S. 353 u. S. 355. Zenk ordnet den Roman ja gerade in die Spätphase des Exotismus ein, für die er konstatiert, dass der gescheiterte Glaube an eine fremde Kultur und die misslungene Vermittlung mit dieser Kultur literarisch umgesetzt werden. Texte dieser Spätphase gelangen nur noch zu negativen Darstellungen des fremden Landes. Wie diese Analyse allerdings zeigt, geht es ja nicht um die Darstellung des fremden Landes, sondern um ein Negativbild des Eigenen. Zenks Formulierung von der „Fremdartigkeit anderer Völker und Nationen“ wäre auch historisch im Zeitalter des Kolonialismus, der genau diese Fremdartigkeiten durcheinander bringt und ausmerzt, kaum halt- bar. 579 Die Problematik und Unschärfe dieses Begriffes sei hier unbezweifelt. Es soll auch nicht unterstellt werden, dass es etwas wie niedere und höhere Kultur gibt. Der Begriff dient hier nur dazu, eine Differenz zu den vorhergehenden Aus- führungen zum Scheitern aller künstlerischen Kultur zu markieren. Der Begriff folgt somit den Zuschreibungsprozessen im Text. Die Aporien der europäischen Wahrnehmung

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