Max Dauthendey - DrMayer - Raubmenschen - Rennewart
186 Der erste Anblick NewYorks geht mit einemüberwältigenden, aber zugleich pejorativ konnotierten Eindruck einher. Der Blick auf New York fordert die „Nerven“ 517 des Europäers heraus. Mit dieser Aussage unterstreicht Renne- wart zunächst die an Bord des Schiffes bereits vor-konstruierte Fremdheit Amerikas. Er findet also das bestätigt, was seine Wahrnehmung sowieso schon erwartet hatte. Dieses Schema steht ganz im Sinne des „Schnecken- hauses“, weil er nur die „Wände“ des „Hauses“ erblickt. Da er sich als Euro- päer identifiziert hat, erscheint New York notgedrungen als etwas von euro- päischen Großstädten unterschiedenes. Jedoch ist nicht nur der Europäer überfordert, sondern der Mensch im allgemeinen Sinne. Diese Generali- sierung Rennwarts erweist sich an der Stelle als Leerformel, da Rennewarts europäische Wahrnehmung nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben kann. New York, das heißt die USA, werden als modernes Land ohne Geschichte und Tradition geschildert, was Rennewart auch als Grund für die scheinbare Effizienz des Verkehrssystems anführt. Ich hatte den Broadway noch nicht erreicht, da schien es mir, als schlösse man droben über den dreißig Stockwerken der Häuser den Himmel mit schwarzen Eisendeckeln zu […]. Die neuzeitliche, eilige, fast lautlose Verkehrsart, die nirgends durch altmo- dische Einrichtungen und nirgends von schwerfälligen Traditionen gehemmt war, gab dem Neuling den Eindruck großer intelligenter Leichtigkeit, Zweck- mäßigkeit und materieller Gediegenheit. Vor allem jagte mich der Zahlenspuk aus New York. 518 Die Betrachtung der Wolkenkratzer erzeugt die Überforderung der europäi- schen Wahrnehmung ebenso wie die schnelle Hochbahn. Sehr überlegen dachte und sprach ich schon am ersten Abend zu mir über Europa, als ob ich ein Stockamerikaner von Geburt wäre, und als ob ich mich schämen müßte, ein bäuerischer Europäer zu sein. […] 517 „Nerven“ stellen ein zentrales Element der Wiener Moderne sowie der gesam- ten Literatur zu Anfang des 20. Jahrhunderts dar. Ein inntertextueller Bezug ergibt sich zu Müllers Tropen -Roman. Vgl. Tr, S. 57 u. S. 114. Brandlberger spricht ebenfalls durchgehend von Nerven und Nervenkunst. Dabei werden die Nerven mit dem menschlichen Ursprung, also den Tropen verbunden. 518 RM, S. 68 u. S. 65f. Die Aporien der europäischen Wahrnehmung
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