Max Dauthendey - Mainberg - Korfiz Holm
gegrüßt. Das zweite Original, diesmal ein weibliches, erlebte ich am nächsten Mittag schon bei Tisch. Zu meiner Linken saß da eine ältere Dame von auffälliger Häßlichkeit, die dicke Gichtknoten an allen Fingern hatte, obgleich sie sich "vernunftgemäß" ernährte und, wie ich bald erfuhr, einem erbitterten Vegetarismus huldigte. Sie wies die Fleischbrühe, die es an diesem Tage gab, weit von sich und erteilte mir, als ich sie mit Behagen aß, den freundlich zarten Wink: "Nein, ich begreif es nicht, wie einer diesen ekeln Leichensaft genießen mag!" "Ich find es immer schön", antwortete ich, "wenn einer sich so ausdrückt, daß man ganz genau weiß, was er meint." Sie musterte mich mißtrauisch und würdigte mich eine Weile keines Blickes mehr. Erst als ich dann beim Braten war und sie ihre Kartoffeln zerdrückte und mit dem Spinat vermischte, fragte sie mich so plötzlich, daß ich fast erschrak: "Sind Sie schon – wiedergeboren?" "Weiß nicht. Ich glaub kaum. Ich habe nichts davon gemerkt. – Und Sie?" "Ich – ja!" "Dann würd ich mich noch einmal wenden lassen", riet ich ihr. Sie funkelte mich mit empörten Augen an, sorgte dafür, daß sie beim Abendessen nicht mehr meine Nachbarin war, und hat sich außerdem bei Doktor Müller über mich beschwert. Er aber gab ihr den Bescheid, wenn sie so wenig Spaß verstehe, sei sie für das persönliche Leben noch nicht reif. Ich fürchte sehr, er hat des öfteren noch Anklagen gegen mich vernehmen müssen. Denn es gab hier in Mainberg zu viel Zeitgenossen, die voll Eifer das betrieben, was ich "sich selbst und andern in der Seele bohren" nennen will. Da ich es gar nicht liebe, wenn mir bei Tisch jemand das sozusagen dampfende Gekröse seines inneren Menschen neben den Suppenteller legt oder mit zudringlichen Fingern gar in meine eigenen Tiefen langen will, so mußte ich mich eben wehren; und das geschieht am wirksamsten durch Spott. Ich war damals noch jung – mag sein, daß mich der Beifall, den ich dafür bei Gleichgesinnten fand, zuweilen weiter führte, als gerade nötig war –, eins ist gewiß: mein ‹böses Maul›, das es zumeist doch nicht so böse meinte, machte mich bei vielen unbeliebt. Ich hätte einen schweren Stand gehabt, wenn Doktor Müller, der diesen Leuten als unfehlbares Orakel galt, nicht immer freundlich für mich eingetreten wäre. Selbst schlagfertig und witzig, schätzte er den Witz bei anderen auch, und mochte der sogar im Übermut auch seinen Schnabel an ihm selber wetzen. Mir ist noch ein feuchtfröhlicher mainberger Abend im Gedächtnis, an dem die
RkJQdWJsaXNoZXIy MjA3NjY=