Max Dauthendey - Die Untergangsstunde der Titanic
Und vor mir Leben, das die Hand mir leckte, Erwachte ich. Ans Knie strich mir mein Hund. Erstaunt ich mich in meinem Zimmerraum entdeckte, Im Herzen noch der Schiffswelt Todesstund'. Ich seh' den Hund an, der da vor mir kauert, Und der mit seinen Augen stumm mich fragt: "Herr, sprich, warum dein Menschenblut erschauert. Die Stille um dich stundenlang schon klagt, Sie rief mir zu: Sieh doch, dein Herr, er trauert." – Und ich besinne mich, daß ich da nächtens las Von einem großen Schiff das große Untergehen, Und daß ich miterlebt Titanenunglück und des Todes Haß. Beim Leben, das wir gerne triumphieren sehen, Die Todeskälte schon im Morgen saß. Noch jenen Traum im Aug', schau' ich zur Zimmerdiele, Die wurde wie der Grund vom tiefen Meer. Erdrückt von Haufen Gold sah ich der Menschen viele. Denn jener Schiffstitan, er war an Goldlast schwer. "Die Glücklichen," so seufzte ich, "sie kamen nun zum goldnen Ziele." Ich sprach es, todeslustig noch, und wurde langsam wach. Vor mir, zerpreßt vom Gold, verschwanden jene Toten. Und draußen stand die Sonne überm Nachbardach, Und ihre Strahlen mir ihr Lebenslicht anboten. Da griff mein Atem zu. Ich dachte nicht mehr heiß dem Untergänge nach. Ich streichelte den Hund, der lebenskräftig bellte, Und fühlte mich von Sterbequalen frei. Das Licht, das süße, das mein Herz erhellte, Entrückte mich dem großen Todesschrei, Der fern in der Erinnerung noch gellte. Das Schicksalsbuch, darin ich weiterlas, Es schlug mir neue Bilder auf und Seiten. Doch zwischen neuen Zeilen ich es nie vergaß, Daß Menschen ihrem Tun den Untergang bereiten, Wenn nicht die Demut mit beim Werke saß. Max Dauthendey, 1867-1918
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