Max Dauthendey - Japan - Abendglocken - Mijderatempel

standen auf und verneigten sich. Ihre Reihen waren dicht gedrängt. Aber kurz vor Sonnenuntergang, am sechsten Hügel, dahinter die Hauptstadt der Provinz lag, standen die Frauen nicht nur am Wege, sondern saßen auch in den Zweigen der Bäume, und ihre Gesichter waren glänzend wie Lampen am Abend. Die oben in den Bäumen klatschten Beifall, und die, die unten standen, verneigten sich und murmelten Beifall. Hundert Schritte vor dem Tor und den vier Türmen der Provinzhauptstadt, wo das Frauengedränge am Wege am dichtesten war, hörte Ata-Mono plötzlich einen allgemeinen Schrei des Entsetzens. Ein surrender Laut traf sein Ohr, und ein langer, schwirrender Pfeil sauste vor ihm in den Boden und stand senkrecht und zitternd fest vor seinem Fuß. Er staunte, aber er ließ sich nicht in seinem Weg stören und tat drei Schritte weiter. Da stürzten schnell drei Speere vor ihm nieder. Der eine zerschellte an einem Baum, der zweite durchbohrte ein Weib am Wegrand, der dritte fuhr durch Ata-Monos Haar und riß die Muschelkette aus seinem Haar mit sich. Gleich darauf sah Ata-Mono, daß die Frauen auf den vier Türmen des Stadttores in Aufruhr gerieten und von jedem Turm einen Mann herunterstürzten. »Was bedeutet das?« fragte Ata-Mono die zwei Frauen, die ihm zunächst standen. »O Herr, ein paar eifersüchtige Männer wollen Euch töten«, sagte die eine der beiden Frauen eifrig; die andere lachte. »Warum sehe ich nur Frauen und keinen Mann, der mich begrüßt?« fragte er weiter. »O Herr, der Regent hat befohlen: am Tage, wo Ihr vom Meere wieder nach China zurückkehren würdet, dürfe kein Mann sein Haus verlassen und kein Mann die Straße betreten, da die Eifersucht der Männer grenzenlos ist und weil dich alle Männer hier hassen.« Ata-Mono sagte verwundert: »ich habe seit Jahren keine Männer gesprochen. Warum hassen sie mich, und warum sind sie eifersüchtig auf mich?« »Herr, Ihr wißt nicht, daß der Regent tief betrübt war, weil Ihr, der Ihr der erste seid, der die Sprache der Bäume verstand – weil Ihr China den Rücken kehren wolltet.« Ata-Mono staunte: »Ich habe es niemand erzählt. Woher weiß der Regent, daß ich die Schrift der Baumrinden lesen kann?« »Herr, man sah Euch ja täglich in Eurem Heimatort an allen Wegen, in allen Wäldern, wie Ihr laut die Sprache der Bäume entziffert habt. Die Menschen standen in Scharen um Euch und lernten von Euch das Lesen der Rinden. Und jetzt lesen alle unsere Männer und verstehen die Sprache der Bäume wie Ihr.« »Sind sie deswegen eifersüchtig, eure Männer, weil ich der erste war, der die Sprache der Bäume verstand?« »O nein, Herr, sie sind eifersüchtig, weil der Regent am Tag, da Ihr China den Rücken wendetet und ans Meer gingt, geschworen hat, daß Ihr an

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