Max Dauthendey - Japan - Abendglocken - Mijderatempel

dem Tag, an dem Ihr umkehren und unter sein Volk zurückkehren würdet – daß Ihr dann die Wahl hättet unter allen Frauen, ob verheiratet oder unverheiratet, ob hoch oder niedrig; ja, die Regentin selbst dürft Ihr Euch als Frau erwählen. Aber Ihr müßt Euch entscheiden, ehe die Sonne dieses Tages untergeht. Habt Ihr dann nicht gewählt, wird man Euch morgen töten. Der Regent will, daß Ihr, tot oder lebendig, jetzt im Lande bleibt und daß Ihr nicht den Ruhm des Landes gefährdet, daß Ihr nicht auswandert oder eine Frau aus einem anderen Volke wählt als aus dem unsere. Die Männer, die vorhin von den Türmen gestürzt wurden, waren die Männer von den vier schönen Töchtern des Regenten; diese vier Männer wollten Euch töten, ehe Ihr die Stadt betreten hättet, weil sie bei Eurer Brautschau für ihre Frauen fürchteten.« Ata-Mono sagte: »Alle hunderttausend Frauen des Landes sind mir willkommen. Sowenig wie ich jetzt mehr den Willen zur Unsterblichkeit habe, sowenig Willen habe ich zur Liebeswahl. Ich werde also morgen sterben. Warum bin ich nicht schon vorhin gestorben, als der Pfeil zielte und die Speere eine Frau töteten, statt mich zu töten?« »Komm!« sagte das Weib, das ihm geantwortet hatte. »Leg deinen Arm um mich und verkündige mich als deine Frau. Dann wirst du nicht sterben müssen. Und ich will dir helfen, dir deine Unsterblichkeit zu sichern, die du am Meer vergeblich erwartet hast.« Ata-Mono fragte rasch: »Kennst du die Rindensprache der roten Kryptomerienbäume?« »Natürlich«, sagte die Frau ebenso rasch. »Ich habe zwar nie einen solchen Baum gesehen, ich kenne aber seine Rindenschrift wie die Linien meiner Hand.« Ata-Mono fragte noch rascher: »Weißt du, wo die Harfe liegt, die ich suche?« »Natürlich«, antwortete ebenso rasch die Frau. »Alle Bäume erzählen, daß die Harfe im kleinen ewigen Feuerland liegt.« »Weib, weißt du den Weg dorthin?« »Natürlich. Ich werde ihn dir schon zeigen. Wenn du mich zu deiner Frau gemacht hast, werde ich ihn in Erfahrung bringen. Alles wird mir gelingen, wenn du mich liebst.« »Wirst du mir treu bleiben, wenn ich dich heirate, und willst du die Unsterblichkeit mit mir teilen?« »Treu bleiben?« fragte das Weib und schmollte. »Das ist das Natürlichste von der Welt. Das verspreche ich dir gar nicht. Aber die Unsterblichkeit werde ich natürlich mit dir teilen. « Ata-Mono betrat die Stadt nicht. Siebenundneunzig Schritte vor der Stadt, heißt es in den chinesischen und japanischen Chroniken, legte er seinen Arm um ein Weib. Aber nicht um das Weib, das er ausgefragt hatte und welches immer so geläufig »natürlich« geantwortet hatte, sondern um eines, das daneben gestanden und zu allem gelacht hatte, melodisch und freundlich wie eine singende Glocke. Diese Frau hatte Ata-Mono nichts versprochen, und die Länder ehren

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