Max Dauthendey - Auf dem Weg zu den Eulenkäfigen

auf dem hellen kahlen Asphaltpflaster im kahlen Januarnachmittag stehen und sich nach meinem vorfahrenden Auto umsehen. Aber es ist nicht richtig, wenn ich sage, daß ich all dieses Schwarz, in dem Frau Claudia jetzt immer mit Vorliebe auf der Straße erschien, zuerst gesehen hätte. Ich sah zuerst nur jene schwarzen Augen, nachdem mich ihr Blick aus dem immer todbleichen Gesicht traf. Auch Claudias Haar ist schwarz, wie ihre Kleidung. Dieses schwarze Haar trennt sich aber vom Gesicht nicht mehr als das Kleid. Es lebt nicht mehr als dieses. Leben haben nur Claudias Augen, ein Leben, das ungeheuerlich weit aus dem Gesicht fortgerückt scheint. Nicht Leben, das einem entgegenkommt. Man könnte sagen, daß man eine aufgezeichnete Landkarte vom Leben, Weltteile von einem Leben, in den schwarzen Augen schaute, wenn der Blick jener Frau einen traf. Nach einer Weile kamen die andern Freunde, und wir traten in den leeren Zoologischen Garten ein, wo die blätterlosen Bäume öde gegen den mattgrauen Winterhimmel standen und, ebenso wie die Augen Claudias, nur Lebenslinien, hoch von der Erde weggerückt, Haltung und Bestimmung zeigten, aber keine blätterrauschende Sommerfreude. »Wo wollen wir zuerst hin?« fragte einer den andern. Jemand schlug vor, zu den Raubtieren zu gehen. Ein anderer wollte zu den Affen. Ein dritter zu den Papageien. Nur Claudia sagte immer dazwischen: »Aber zu den Eulen müssen wir auch gehen! Ihr wißt nicht, wie schön die Eulen sind. Ihr habt ihre Augen sicher nie betrachtet. Ich sage euch, es sind wunderschöne Vögel. Ich gehe nie aus dem Zoologischen Garten fort, ohne bei den Eulen gewesen zu sein.« Als Claudia so eifrig die Eulen bevorzugte, ging sie in der Mitte der kleinen Gesellschaft, von den Damen und Herren umgeben, und sie blickte nur ab und zu nach links und rechts, und sie lächelte. Und ich mußte an den Rattenfänger von Hameln denken, der an der Spitze einer Kinderschar schreitet und diese mit seinen eindringlichen gleichmäßigen Flötenlauten in einen finsteren Berg lockt, der sich bald hinter den Ahnungslosen schließen wird. So gingen diese schwarzen Augen, die ich bis zu jener Stunde immer noch nicht beschreiben konnte, allen anderen Augen voran, von denen keine mit so schicksalstiefen Blicken, unheimlichen Flötenlauten ähnlich, anziehen konnten wie Claudias Augen. Mir schien, wir andern wären plötzlich alle schwarz wie Claudia gekleidet, als sie uns immer wieder von den düsteren Eulen sprach. Eulen waren ihr die liebsten Tiere des ganzen Gartens und die schönsten Vögel der Welt. Und ich konnte mich bald nicht mehr des Wunsches erwehren, zu keinen anderen Tieren zu gehen als zu den Eulen. So ging es schließlich allen, die um Claudia waren. Die Eulen wurden für jeden der Mittelpunkt des Gartens. Und während die Stimme der schwarzäugigen Frau die Eulen pries, wie ich es noch nie von jemandem gehört hatte, und während einer nach dem andern seine

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