Max Dauthendey - Auf dem Weg zu den Eulenkäfigen
tief scheinen will, unergründlich aussehen will, die aber nichts ist als ein auf den Kopf gestelltes Zerrbild der Wirklichkeit. So spiegelte das Gehirn jenes Mannes, mit scheinbaren Unergründlichkeiten verblüffend, die Ufer des Lebens wieder, indem es das Feste beweglich machte, es wahnwitzig verzerrte, es für unergründlich ausgab. Ehe Claudia sich mit dem Studenten verlobte, war ein anderer Mann ihrem schwarzen Blick verfallen, ein junger Adeliger, der sich von ihrer Anziehungskraft nicht losmachen konnte, trotzdem er von Claudia nichts zu hoffen hatte. Sie trug damals ihr schwarzes Haar kurzlockig geschnitten und, nach Knabenart, in der Mitte gescheitelt. Sie rauchte auch, als es noch nicht allgemein war, daß Frauen Zigaretten rauchten. Sie wäre vielleicht auch am liebsten in Herrenkleidung ausgegangen. Ihr immer elfenbeinblasses Gesicht zeigte rote frische trotzige Lippen, und alles Verwegene, Herausfordernde, menschlich Kühne erregte sie, da ihr eigener junger Körper der Welt knabenhaft verwegen und widerspruchsvoll gegenübertrat. Ein Freund jenes jungen Adeligen suchte sie eines Tages in ihrem Studentenzimmer auf und bat sie, sich doch zu entscheiden, ob sie nicht die Frau seines Freundes werden wollte. Als sie »nein« sagte, schlug der Abgesandte, der ein ernster und zielbewußter Mensch war, in ehrlichem Zorn mit der Hand auf den Tisch und fragte Claudia, was sie veranlasse, die Hand eines ehrbaren jungen Mannes mit einem Nein abzuweisen. Die Gefragte sagte ganz einfach, daß sie bereits gewählt habe, und nannte den Namen Dagons. »Dann prophezeie ich Ihnen, daß sie niemals glücklich werden,« entfuhr es dem heftig Erregten, der seinen Freund verdrängt sah von einem, der ihm Widerwillen einflößte. »Aber sagen Sie mir, ehe ich gehe,« fügte er hinzu, »was haben Sie gegen meinen Freund einzuwenden?« »Daß er adelig ist,« antwortete ihm frei und stolz die junge Studentin, »ist der Grund, der immer bleiben würde, wenn ich nicht bereits einen andern vor ihm gewählt hätte. Ich will nicht, daß man in seiner Familie auf mich als auf eine Bürgerliche herabschaut.« Claudia prahlte niemals mit ihren Anbetern. Nur einmal, als ich sie tief unglücklich antraf und ganz natürlich fragte: »Wie sind Sie denn mit diesem Mann zusammengekommen, der Ihnen jetzt so viel Qualen bereitet?«, da erzählte sie diese kleine Verlobungsperiode, und sie schloß: »Gerade weil mich der Freund jenes Adeligen vor Dagon warnte und mir Unheil prophezeite, gerade das war es, was mich herausforderte, Dagon erst recht zu wählen. Es machte mir Lust, mit meinem Geliebten Seele gegen Seele zu ringen. Das fabelhaft Verwandlungsfähige seiner Seele reizte die eisernen, starren und gefestigten Lebensbegriffe in mir. Mir war, als könnte Dagon alles Feste in Wolken auflösen. Mir war, als sähe ich einem Zauberer zu, wenn er mich leise und lächelnd schon
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