Max Dauthendey - Auf dem Weg zu den Eulenkäfigen

in der ersten Zeit unseres Bekanntwerdens belügen konnte. Dann drang ich mit meinen Augen in ihn ein, und mir war, als müßte ich das Lügen aus ihm ausbrennen. Er lächelte wieder und log hilflos weiter und tat, als hätte ich wirklich das leichte Lügen an der feinsten Wurzel in ihm abgetötet. Aber ich ahnte ja nicht, daß er immer wieder neue Fäden der Lüge hinter sich herziehen konnte, wie die Spinne ihre Fäden, daran sie tanzt, daran sie sich über Abgründe schwingt. Während ich aber glaubte, in Dagon die Lüge abzutöten, wurde ich langsam von ihm abgetötet, entkräftet. Denn Unheil ist sein Schaffen, und nur Unheil war er für mein ganzes Leben.« Und Claudia erzählte weiter: »Am ersten Weihnachtsfest, das wir zusammen als Verlobte feiern wollten, reiste ich zum erstenmal in meinem Leben zum Fest nicht nach Hause, trotz der Bitten meiner Eltern und Geschwister und obwohl ich wußte, daß mein Vater alt und krank war. Aber am Nachmittag des Weihnachtsabends, auf den ich mich so sehr gefreut hatte, bekam ich ein Telegramm, das mir den Tod meines Vaters anzeigte. Ich saß eine Stunde später im Eisenbahnzug und durfte den Abend weder bei dem geliebten Mann, noch in meiner geliebten Familie verbringen, sondern war in einer Hölle von Einsamkeit, zwischen zwei Zielen hin und her schwankend, zwischen dem Ziel des Lebens und dem Ziel des Todes. Leidend, weinend und erschüttert saß ich in der weihevollen Nacht als einziger Reisender im leeren Zug, von Selbstvorwürfen gepeinigt, weil ich meinem toten Vater den letzten Wunsch nicht erfüllt hatte, ihn auf seinem Krankenbett am Weihnachtsabend zu besuchen. Ich hatte nun an diesem Abend nichts, weder den Geliebten, noch das Heim. Ich hatte die Leere. Das war der Anfang des Verschlingens, das von Dagon ausgeht. Aber ich hatte mir Dagon gewählt, das mußte ich mir immer wieder sagen. Ich hätte auf dem Landgut des Adeligen vielleicht ein ruhiges, seßhaftes Leben führen können, gepflegt von einem mich aufrichtig Liebenden. Ich hatte es nicht gewollt. Mich hat der Kampf mit dem Unklaren, Ungewissen gelockt. Ich wußte es damals nicht: es ist der Kampf mit dem Nichts gewesen.« So erzählte mir Claudia ohne Pathos, ohne große Geste, mit schwarzblanken Augen, die glänzend zu sein schienen von den Abgründen ihres Unglückes. Es war auch, als triumphiere in ihrem Blick das Bewußtsein des Unentrinnbaren, als käme sich jene Frau selbst erstaunlich vor und als ließe sie ihr Erstaunen über sich aus ihrer Augenschwärze strahlen. Deshalb klagte sie eigentlich nicht, wie andere klagen, wenn sie Grauenhaftes, Martervolles erleben. Sie lebt in einer Unglücksekstase, und mir scheint, ihre Augen werden immer glänzender, je unglücklicher sie von Jahr zu Jahr wird. Nur einmal in jenem Winter erschrak ich. Da verflüchtigte sich das Feuer ihres Willens zum Unglück. Ihre Augen sahen so verklärt aus, als ginge sie nur noch mit den Zehenspitzen wie eine Traumwandlerin auf den Dächern der Welt. Als Claudia und Dagon ein Jahr verheiratet waren und sie sich schwanger werden fühlte, waren sie beide nach Kanada ausgewandert. Sie wußte nicht mehr, wer

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