Max Dauthendey - Rennewart - Raubmenschen

kindlichem Getute die Lerche am Himmel; in einer Sandgrube entdeckte ich fünf Bauernkinder, Knaben und Mädchen, die im Kreise zusammengekauert saßen und kicherten und sich wälzten und den kitzelten, der vergebens ernstlich die Flöte spielen wollte. Ich störte das Kindertreiben kaum mit einem neugierigen Blick. Aber alle Kinder duckten sich mit einemmal und schrien: »Sie kommt, pst, pst, sie ist es, sie kommt!« Ich sehe nichts und denke, die Kinder spielen ein Versteckspiel, und ich stapfe vorüber. Ich wandere weiter durch den beweglichen unruhigen Sand, der mich nicht aufrecht gehen läßt, mich bei jedem Schritt umstoßen möchte. Wie ich von dem unsicheren Boden aufsehe, kommt mir lautlos eine Gestalt entgegen: die junge Dame im Lodenmantel. Sie geht barfuß und trägt ihre Stiefel in der Hand. Ihr Mantel ist offen; ich sehe ihr hellblaues Sommerkleid. Kaum erblickt sie mich, da wickelt sie den Mantel um sich und wendet sich ohne Gruß in die einsamen Sandhügel nach der Seite hin. Sie scheint barfuß den beweglichen Sand besser beherrschen zu können als ich; sie wankt bei keinem Schritt. Ihr Gesicht leuchtet weiß wie Papier in der Abenddämmerung. Sie trägt das weiße Gesicht etwas hochmütig feierlich, wie ein Priester, der am Altar dem Volk die blendend weiße Oblate einer Hostie zeigt. Hinter dem Mädchen, aus den Dünen, steigt der Vollmond, wie ein zweites weißes Gesicht, das dort begraben gewesen, das sich aufrichtete und dem Mädchen folgte. Ich weiß nicht, warum ich plötzlich die Dünenhügel traurig wie Gräberreihen eines Kirchhofs fand. Das Mädchen, als es vorhin neben mir im Wagen gesessen, hatte mir den Eindruck von Lebensfülle, Kraft und Sicherheit gegeben. Ihr Kopf war von dunklem Haar gekrönt. Ihre Lippen waren von jungem, üppigem Blut belebt. Schultern und Büste rund und geschmeidig, als trügen sie gut ein hochpochendes Herz. Nur ihren blaugrauen Augen war ein fliehender Blick eigen. Der war manchmal gequält wie die Haltung der zur Seite gebogenen Bäume an der Küste des Atlant. Jetzt in der abendstillen Düne, wo die Dämmerung den üppigen Körper des Mädchens grau verflüchtigt zeigte, war es mir, als hätten ihre scheu ausweichenden Augen von ihrem ganzen Körper Besitz genommen, als strebe sie einsamen Selbstgesprächen nach und handle dem Willen ihres üppigen Blutes zuwider und verbreite rings um sich endlose Traurigkeiten. Ich hörte dann hinter den Sandhaufen wieder die Kinderflöte spielen und wünschte der scheuen jungen Dame, daß sie wenigstens gut Freund mit den Kindern wäre. Dann vergaß ich sie über meinen eigenen Gedanken, kam zum Fluß und zum Kahn zurück, ließ mich zum Gasthaus übersetzen und fand im Eßzimmer meinen Teller und mein Besteck neben die einer englischen Malerin aus London gelegt. Mir gegenüber saßen zwei junge amerikanische Maler, von denen der eine in braunem Manchestersamt, der andere in grauem Manchestersamt gekleidet war. Es wurde lärmend gegessen, lärmend gelacht und gewitzelt, und mit der gleichen lärmenden Energie wurde über Sportballspiele, Baden und Angeln, über Ölfarbenmanieren, Modelle und Kunstausstellungen verhandelt – über alle Themen gleichmäßig heftig, als wäre die Kunst ein Sport und der Sport eine Kunst. Neben der englischen Malerin war ein Stuhl am Eßtisch freigeblieben und ein Gedeck unbenützt, und als die Maler und ich unsere Servietten fortlegten und wir vom Tisch aufstanden, sagte einer der Herren: »Die Österreicherin ist nicht zu Tisch gekommen!« Die Engländerin lachte und meinte: »Die Österreicherin ist ein kurioses Mädchen. Sie geht immer noch abends im Mondschein auf der Düne spazieren und kann nie zur rechten Zeit zu Tisch kommen.« »Sie scheint keinen Hunger zu haben,« sagte ich, »denn ich begegnete ihr eben; sie muß sich eben erst zur Düne haben übersetzen lassen.«

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