Max Dauthendey - Rennewart - Raubmenschen

»Sie ist ein kurioses Mädchen«, wiederholte die Londonerin und forderte die beiden Amerikaner und mich zum Ballspiel auf. In Ermangelung eines Tennisplatzes war ein Ballspiel eigener Art von den Amerikanern erfunden worden, das auf der Landstraße bei zwei Scheunen neben dem Gasthaus gespielt wurde. Der geworfene Ball mußte von einer Scheunenwand zur andern Scheunenwand klatschen, und die Wucht des Werfens an die Wand war die Hauptsache dieses wenig geistreichen Ballspieles. Sich vor Faulheit zu schützen, sich Bewegung zu machen vor und nach den Mahlzeiten, war der energische Zweck dieses Spieles. Rassen, die nicht das Phantasiespiel des Nachdenkens und des Sichversenkens in die schweigende Welt und in sich selbst als Lebenskunst gelernt haben, dachte ich, fürchten sich vor der Einsamkeit mit ihrem Ich wie vor einem Gespenst. Ich spielte mit den Ausländern ihr heftiges Ballspiel und wunderte mich über den Aufwand an Energie und Eifer, der ihnen fast die Arme und Beine vom Leibe riß, wenn sie zum Ballwurf ausholten. Manchmal sehnte ich mich aber von den wahnsinnigen amerikanischen und englischen Gliedmaßen und dem wuchtig aufklatschenden Ball fort, über den kleinen Fluß hinüber auf die sandgraue, wellige Düne, wo der Mond einem Mädchen nachging und Kinder Sandnester gruben und Flöte bliesen und das Abendschweigen alle Gedanken heiligte. Trotzdem fesselten die schreienden, tobenden Amerikaner und die sich männlich energisch gebärdende Londonerin meine Augen und Ohren wie ein Schauspiel, das durch Lärm alle Sinne hypnotisiert; denn die Menschenstimmen schallten zwischen den Scheunenwänden auf der abendlichen Landstraße doppelt laut; es war, als jage eine Meute Hunde mit Gekläff eine Katze. Mitten in diesem Lärm hörte ich nach einer Weile, wie über mir im ersten Stock des Gasthauses ein Fenster klirrend geschlossen wurde; und als die Amerikaner sahen, daß ich zu jenem Fenster hinaufschaute, sagten sie wie aus einem Mund: »Ah, die Österreicherin ist von ihrem Mondspaziergang nach Hause gekommen.« Ich weiß dann nicht, warum ich mich beinah schämte, weiter unter den lärmenden Ballspielern zu bleiben und als ein Lärmer unter den sechs Fenstern auf der Landstraße zu toben. Auch die Ausländer ließen plötzlich vom Spiel mit der jähen, abbrechenden Art, die nur Engländern und Amerikanern eigen ist. Dann sagten sich die Ballspieler »gute Nacht«. Eine Weile später stand ich oben an meinem Zimmerfenster, und unten lag die grau eingesponnene Landstraße. Der Mond stieg langsam auf die Scheunendächer, und ich wünschte mir, daß die Österreicherin neben mir im Nachbarzimmer schnarchen oder husten oder seufzen möchte, damit ich nach dem bestialischen ausländischen Geschrei wieder etwas primitiv Menschliches meinen Ohren zur Beruhigung geben könnte. Aber kein Laut drang aus dem Nebenzimmer, und meine kalkweißen Zimmerwände sahen mich in der Mondbläue endlos leer an wie Sanddünen. Doch nicht lange danach, als ich meinen Kopf auf das Bettkissen legte und mein Blut sich vom Ballspiel beruhigt hatte, begann ein fremdartiges Geräusch, wie ein fernes Bienensummen, wie ein surrendes Uhrwerk im Kopfkissen. Ich richtete mich auf, aber das Geräusch war dann nicht mehr zu spüren. Es war leer und still im Zimmer. Ich drehte mein Kopfkissen mehrmals um und dachte, die Leinwand sei zu kalt und verursache mir Ohrensausen. Immer, wenn ich mich hinlegte, summte das Kissen, und wenn ich mich aufrichtete, war es still im Zimmer. Da kam ich auf den Einfall, mein Ohr an die gekalkte Wand zu legen. Auch die Wand summte. Ich stand auf und legte mein Ohr an den

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