Max Dauthendey - Rennewart - Raubmenschen
Spiegel, an den Schrank, auf die Tischplatte. Alle Dinge im Zimmer hatte eine Stimme bekommen, als hörte ich ihre Selbstgespräche, sobald mein Ohr sie berührte. Alles Holz, alles Glas, alle Wände und die Leinwand und die Bettfedern in den Kissen, alle sprachen, wenn ich ihnen mit dem Ohr nahe kam, als wäre in allen toten Dingen ein Blutkreislauf. – Dann verstand ich plötzlich mit einem wohligen Schauer dieses Geheimnis. Es war, fernher geleitet, die Stimme des Atlant. Die war durch die Erde in alle Erddinge gedrungen; der Atlant telephonierte mir durch die Erdleitung in mein Ohr. Der Atlant, den meine Augen heute noch nicht als Riesen hatten entdecken können, streckte sich mit Stimme und Bewegung riesig durch die Erddecke unter dem Hause fort und wiegte das Blut in meinem Leib und das Ohr auf dem Kopfkissen. Nun wußte ich: der Atlant war so mächtig, daß auch die Augen ihn nicht gleich zum erstenmal, wenn sie vor ihn traten, erfassen konnten; es brauchte Tage und Nächte, bis einem sein ungeheurer Anblick bewußt wurde. Man stand vor dem Atlant wie vor einem Gott. Man war dicht bei ihm und sah ihn nicht; er kam erst stückweise an, drang ruckweise zur Erkenntnis. Erst teilte er sich den Ohren und dem Blut mit, ehe er sich den Augen hingab. Der Atlant ist wie die Seele eines scheuen Mädchens, ist wie Liebe unfaßbar, auch wenn man Wand an Wand mit ihm wohnt. Ich begann, von der Stimme des Atlant umsummt, einzuschlafen und hörte halb im Schlaf, wie im Nebenzimmer ein Fenster geöffnet wurde. Sie sucht wie ich den Atlant, dachte ich einschlafend und sah das blasse Mädchen im Geist, mondweiß wie mein Kopfkissen, und sah sie halb im Traum drüben in ihrem Zimmer am Fenster stehen und das Scheunendach über der mondhellen Landstraße betrachten. Sie sucht wie ich den Atlant. Sie hat seine Stimme auf ihrem Kopfkissen gehört, und sie ist jetzt aufgestanden und sucht wie ich den Atlant. Sie sucht wie du den Atlant, wiederholte mein summendes Kopfkissen während der ganzen Nacht und summte den Satz durch meinen Schlaf bis zum Morgen. – Der nächste Morgen rollte wie eine gelbe Goldkugel durch das Fenster, und allen Wänden und allen Dingen schienen gelbe luftige Kanarienvogelfedern zu wachsen. Es war, als könnten die Wände wie Kanarienvögel zwitschern, so froh, gelb glänzend und schallend hub der Tag an. An diesem Morgen, als ich den Atlant wieder suchte, ging ich nicht über den kleinen Fluß zur Düne hinüber. Ich ging diesseits über den Kies und über Muschelboden am Flußufer entlang, vorbei an einer gewaltigen uralten schwarzblättrigen Eiche und dann auf einem Felsenpfad in die Klippenwelt hinauf. Die war wie aus rotem und braunem Kupfer geschmiedet, als läge hier eine Welt zu Schlacken zerschmolzen, brandfarben dicht bei einer riesigen blauen Flamme; dieses blaue Feuer schien an den brandbraunen Felsen mit Schmelzglut zu lecken. Jene gasblaue Feuerwelt war der morgendliche Atlant. Feuerblau wie eine geschlängelte Flammenzunge lief der Fluß drunten zwischen der goldsandigen, gelben flachen Düne in das Land. Dieses war im Hintergrund mit blühenden, weiß und rosig getupften Obstbäumen umstellt, und das weiße Gasthaus mit seinen sechs Fenstern glänzte an der weißen Landstraße, und dahinter im tiefsten Land lag ein graublauer Waldsaum, Wald hinter Wald. Alles, was der Mensch sich landschaftlich Schönes wünschen konnte, war hier versammelt: grüne Roggenfelder auf dem Klippenplateau, lauschige Dorfhäuser, sonnenhelle Dünen, finster abstürzende, von Stürmen geschwärzte Klippenmauern. Und hinter den fernen Dorfhäusern blühten in weißem und rosigem Schaum die Obstbäume und sahen wie Scharen tanzender Mädchen aus, Mädchen in rosigen Ballkleidern auf grünen Feldern. Ach, käme doch einer der Bäume im blühenden Kleid als Mädchen verwandelt zu mir! dachte ich und sah mich einsam in der atlantischen Morgenwelt vor der feuerblauen Meeresflamme
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