Max Dauthendey - Weg zum Dichter
unbewußt zustreben. Denn jedes echte Gedicht muß aus einer Herzensmelodie geboren werden, und eine Melodie ist nur entstehungsmöglich dort, wo Harmonie, das ist Gleichgewicht, herrscht. Ein Dichterherz ist das harmonischste Herz der Welt. Und deshalb können im letzten Grunde die Wälder und Berge aus Dornen, die Lebenskammern, die voll Folterwerkzeuge starren, dem jungen Dichter nichts anhaben. Er ist der Mann im Feuerofen, er ist der Mann in der Löwengrube, er kann wie Dante die Kreise der Hölle und die Kreise des Himmels durchwandern. Er ist der Unverletzbare, er ist der Prophet, der auf dem Feuerwagen in den Himmel fährt. Er ist der Gesetzgeber, der die Lebensgesetze aus erster Hand der Schöpfung empfängt. Er muß sich plündern lassen wie Hiob und wird doch sein hohes Lied anstimmen und über seinen Tod noch weitersingen ohne Mund, über die Jahrtausende wie Homer. Seht dagegen die anderen Menschensöhne an! Allen, die auf den Erdstraßen arbeiten, ist ihr Weg bekannt. Alle erhielten Schule und Führer, Lehrer und Gesetze für ihren Beruf, nach denen sie sich richten konnten, um rechtschaffene Meister zu werden. Der Handwerker hat seine Lehrjahre und seine Meister, die ihn unterweisen. Der Geschäftsmann hat seine Handelsschule und das Geschäft, die ihn zur Selbständigkeit vorbereiten. Die Ingenieure und die Architekten haben ihre Hochschulen, die Ärzte, die Richter, die Geistlichen, die Lehrer finden ihren Bildungsweg an Lehrschulen und Universitäten. Den Offizieren, den Diplomaten, – allen ist ihr Lebensplan vom Staate und im Staate eingerichtet. Ja, selbst den anderen Künstlern, den Bildhauern, Malern, Musikern, stellt der Staat heute Akademien und
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