Max Dauthendey und Japan
Mehr aber noch als der Geist der fränkischen Landschaft und der Geist des fränkischen Volkes haben mich der Geist und die Erinnerungen an meinen Vater immer wieder nach Würzburg gezogen. Auch nachdem ich längst meines Vaters toten Leib bei meiner toten Mutter begraben habe, geht sein Geist für mich hier noch täglich mit der Sonne auf und steht mit den Sternen nachts am Himmel. Es ist vorgekommen, daß ich vom Rhein im Schnellzug nachts auf dem Wege nach München durch den Würzburger Bahnhof fuhr. Und vom Würzburger Bahnhof bis zur Heidingsfelder Eisenbahnbrücke, wo mich der Zug im Halbrund um das Stadtgebiet brachte, mußte ich mitten in der Nacht am Zugfenster stehen und das Herz zucken fühlen, als wenn man mich in zwei Teile zerrisse. Der Geist meines Vaters schien mein Herz zu packen und es behalten zu wollen. Und zwischen Würzburg und München war es mir dann immer, als habe der Bahnzug, in welchem ich einsam auf den Kissen lag, zwei Lokomotiven, eine am Anfang und eine am Ende des Zuges. Es war, als führe der Zug bald nach Norden, bald wieder ruckweise nach Süden. Und ich selbst kam mir vor, als läge ich in einem Eisensarg, wie jener König in einer Geschichte aus »Tausend und einer Nacht«, der im Eisensarg zwischen zwei Magnetbergen schwebt. – aus: Der Geist meine Vaters Über Kunst und Bedeutung von Gedichten in Japan: In Japan gilt ein gutes Gedicht als höchste nationale Leistung in Friedenszeiten. Von Japan, wo der Kaiser und die Kaiserin jährlich mit dem Volk sich um einen Preis in der Dichtung bewerben, von Japan, das unsere Maschinenkunst und unsere Kriegskunst angenommen hat, können wir Europäer diese Friedenskunst erlernen. Kunstwerke bedeuten dort Heldentaten in Friedenszeiten. Mit möglichst wenig Worten in der Dichtung eindringlich viel sagen, mit möglichst wenig Linien und Farben viel in der Malerei ausdrücken, mit wenig Tönen in der Musik Unendliches geben – dieses hätten wir in der nächsten Zukunft von den Künstlern des Ostens zu lernen. Auch die Art, wie Kunstwerke zu genießen sind, und daß sie nur in einer Art genossen werden können, dies wollen wir von jenen lernen, die seit Hunderten von Jahren die Künste inniger pflegten als wir. Ein Gedicht des Kaisers wird in Japan fünfmal vorgelesen, ein Gedicht der Kaiserin dreimal, ein Gedicht eines Bürgerlichen zweimal.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjA3NjY=